Auf tierische Nahrung zu verzichten, ist ein uraltes philosophisches und religiöses Gebot. Aus Griechenland, Großbritannien und Indien kamen wichtige Impulse. Im Laufe der Zeit wiederholten sich die Motive: Askese, Ethik, Ökologie.
Der Verzicht auf Fleisch ist keine Erfindung der Moderne. Hesiod, Platon und Ovid erwähnten die vegetarische Lebensweise als charakteristisch für die frühesten Zeiten. In seiner „Odyssee“ beschrieb Homer die in Nordafrika lebenden Lotophagen, die sich ausschließlich von berauschenden Pflanzen ernährten. Diese „Lotos-Esser“ galten als besonders freundlich und friedliebend, aber auch als weltfremd und leicht zu täuschen. Für Homer bestand die zivilisierte Menschheit ansonsten aus Sitophagen, „Körner-Essern“; in der griechischen und und auch römischen Antike verzehrten die Menschen überwiegend pflanzliche Kost. Völker wie die Skythen hingegen, denen man nachsagte, sie ernährten sich überwiegend von Fleisch, galten dem Geschichtsschreiber Ephoros von Kyme als roh, und wo schon Tiere gegessen wurden, mochte er auch Menschenfresserei nicht ausschließen.
Auf Pythagoras (ca. 570–510 v. Chr.) gehen erste Vorschriften für eine vegetarische Lebenshaltung zurück. Denn der Philosoph glaubte an die Seelenwanderung, die alles Lebende miteinander verband. Auch Eier, die den Keim des Lebens in sich trugen, waren deshalb tabu. Pythagoras verwies auf das Gerechtigkeitsempfinden gegenüber Tieren, forderte die Charakterbildung durch Askese und wandte sich auch aus medizinischen Gründen gegen den Fleischverzehr, etwa weil er Epilepsie hervorrufe.
Im Römischen Reich verbreitete der in Kleinasien lebende Apollonius von Tyana die Idee des Fleischverzichts. Der Philosoph, ein allererster Veganer, prangerte Tieropfer an, und nicht einmal Leder und Fell kamen für ihn als Kleidung in Frage. Der Gelehrte Porphyrios schließlich hinterließ das gewichtigste Loblieb des Vegetarismus. In seiner Schrift „Über die Enthaltung vom Beseelten“ verwirft er den Verzehr von Fleisch, weil zum einen empfindsame Tiere zu essen ungerecht sei, aber zum anderen deren aufwändige Zubereitung und Verdauung von den Aufgaben eines genügsamen Philosophen ablenke.
Christen – Ordensleute, Einsiedler, aber auch Angehörige von Erneuerungsbewegungen – übten die Askese der partiellen oder vollständigen Fleischlosigkeit, um weltliche Begierden abzutöten. Eier und Milch waren erlaubt; betrieben wurde also Ovo-lacto-Vegetarismus. Die Tiere selbst waren zunächst nicht Gegenstand ethischer Erörterungen. Die Philosophen René Descartes und Immanuel Kant lehnten „humanitäre“ Verpflichtungen gegenüber Tieren ab, der Erfinder Leonardo da Vinci und der Staatsmann Benjamin Franklin befürworten sie hingegen.
Als früher Tierrechtler gilt der englische Kaufmann und Autor Thomas Tryon (1634–1703). In seinen zahlreichen, auch von Pythagoras und vom Hinduismus beeinflussten Büchern setzte er sich nicht nur für den Pazifismus unter den Menschen, sondern auch für Gewaltlosigkeit gegenüber allen Arten von Tieren ein. Zum ersten Mal in Europa wurde indisches Gedankengut zum Thema Vegetarismus aufgegriffen. Tryon verknüpfte seine Haltung mit ökologischen Forderungen: Verschmutzte Flüsse müssten wieder sauber werden, und das Abholzen von Wäldern sei zu beenden.
Von England ausgehend, bildeten sich im 19. Jahrhundert in vielen Ländern Vegetarier- Clubs und -verbände; auch der Begriff selbst entstand zu dieser Zeit. Von den Folgen der industriellen Revolution, der Proletarisierung und Verstädterung abgestoßen, bildeten die Vegetarier zunächst eine romantische Opposition; Dichter wie Shelley, Shaw und Tolstoi schlossen sich ihr an. Neben der Zivilisationskritik bildeten sich auch asketische und tierschützende Strömungen – etwa gegen Versuche am lebenden Tier – heraus. Die Vielschichtigkeit der Bewegung zeigte sich in der 1900 gegründeten Siedlung Monte Verità im Tessin, die Anthropo- und Theosophen, Pazifisten und Anarchisten, Frauenrechtlerinnen und Lebensreformer anzog. Bürgerlich-religiöse Kreise ließen sich vom Arzt und Theologen Albert Schweitzer und seiner Devise „Ehrfurcht vor dem Leben“ beeinflussen.
In Deutschland gelang nach der NS-Zeit nur langsam eine Wiederbelebung des Vegetarismus, der sich als anfällig für antimoderne, völkische und rassistische Theorien erwiesen hatte und zeitweilig zur nationalsozialistischen Modeerscheinung wurde. Positiv wirkte Mahatma Gandhi, Führungsfigur im antikolonialen Kampf, der neben gewaltlosen Protesten eine fleischlose Ernährung vorlebte. Indische Lebensweisen und Haltungen beeinflussten in den 1960er und 1970er Jahren die Jugendbewegungen in vielen Ländern.
Die Tierrechtsbewegung und der Veganismus zählen zu den jüngsten Strömungen, für die der Verzicht auf den Verzehr von Fleisch essenziell ist. Die Tierrechtsbewegung sieht Menschen und Tiere als gleichwertige Teile einer gemeinsamen Gesellschaft; sie lehnt Nutzung und Ausbeutung ab. Aktivisten der Bewegung bezeichnen die Tötung von Tieren als Mord. Umstritten innerhalb der Bewegung ist der Holocaust-Vergleich, den die durch ihre Antipelzkampagnen bekannt gewordene Organisation Peta verwendet hat. Der Veganismus führt ethische, aber auch ökologische und globalisierungskritische Argumente ins Feld. Er wurzelt im Vegetarismus, lehnt aber nicht nur tierische Lebensmittel ab, sondern auch die Verwendung tierischer Produkte wie Wolle und Leder und solche mit tierischen Bestandteilen, etwa Kosmetika. Veganismus wird seit einiger Zeit in den Industrieländern zunehmend als Lifestyle akzeptiert.
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Dieser Artikel entstammt dem Fleischatlas – Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel, Herausgeber: Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit BUND und Le Monde Diplomatique, Berlin, Januar 2013, und steht unter einer Creative Commons Lizenz (CC-BY-SA).
Leider wird in dem Artikel nicht auch die alte und noch immer lebendige Religion des Jainismus direkt erwähnt (Mahatma Gandhi war übrigens auch vom Jainismus geprägt). Die Jains sind womöglich die eigentlichen „Erfinder“ des Veganismus (Teil des kleinen Gelübdes), des Fruganismus (Teil des großen Gelübdes) sowie des gelebten Umwelt- und Tierschutzes. Die Jaina Deklaration über das Wesen der Natur sei an dieser Stelle zum Lesen empfohlen.
Dass ich hier den Artikel in ganzer Länge wiedergebe, hat natürlich Gründe. Zum einen liegt mir der Tier- und Umweltschutz sehr am Herzen und weist, sofern er nicht anthropozentrisch motiviert ist, auch dann, wenn er nicht aus religiösem oder spirituellem Denken und Erleben erwächst, „in der Seele über die Seele hinaus“. Und zum anderen spielt der Schutz der „Schöpfung“, vor allem das Mitgefühl und die Barmherzigkeit gegenüber leidensfähigen Mitgeschöpfen – auch sich in Ernährung und Lebensweise widerspiegelnd – in Religion und Spiritualität eine noch immer viel zu geringe Rolle. Der Artikel zeigt, wie lange der Weg bereits beschritten wird, und jedem dürfte ersichtlich sein, wie wenig erst erreicht ist.
Weitere links zum Thema befinden sich übrigens auf der Seite „links“ dieses Blogs unter der Überschrift „Tier und Umwelt in Religion und Spiritualität“.
18 Kommentare
Comments feed for this article
30. Januar 2013 um 11:29
tom-ate
Reblogged this on Landmarken der Wirklichkeit und kommentierte:
Vegetarier zu sein, bedeutet nicht, verzichten zu müssen, sondern sich mit einem mir nahe stehenden Teil der „Nahrungskette“ zu versöhnen. Ein Gewinn auf alle Fälle.
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30. Januar 2013 um 20:35
metepsilonema
Doch, doch, es verzichtet derjenige, der Vegetarier wird, auf den Genuss des Fleischverzehrs (außerdem spräche sonst niemand in dem Zusammenhang von Askese). — Ein Gewinn bleibt es natürlich trotzdem.
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31. Januar 2013 um 18:43
tom-ate
Der Verzicht liegt nur in der Zeit des Übergangs bzw. in der Vorstellung zuvor, solange man noch gewohnheitsmäßig Fleisch ist. Danach, rückblickend, verstehe ich den Verzicht, den früheren „Genuss“ gar nicht mehr. Denn schon nach etwa zwei Jahren ist man derart entwöhnt, dass einem nur schon der wahrgenommene Geruch der Fleischabteilung im Supermarkt keine Freude mehr bereitet.
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31. Januar 2013 um 19:44
metepsilonema
Hihi, nein, mein Lieber: Ich bin auch schon einige Jahre Vegetarier, aber wenn ein Schweinebraten vor mir steht, reizt er mich durchaus, duftet und würde auch schmecken (im Supermarkt nicht, das stimmt).
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1. Februar 2013 um 10:33
tom-ate
Dann mag der Fleischverzicht für dich tatsächlich mit Askese in Zusammenhang stehen? Interessant. Ich dachte also fälschlich, meine Erfahrung sei so ziemlich allgemeiner Natur, umso mehr als mir auch schon andere Vegetarier von diesem „Verlust“ der Lust auf Fleisch berichtet haben.
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1. Februar 2013 um 15:41
metepsilonema
Generell gilt das durchaus, ich vermisse Fleisch nicht. Aber wenn eines fertig zubereitet vor mir steht, und ich es früher gerne aß, dann regt es meine Sinne an. Ich finde das insofern gar nicht ungewöhnlich, weil ich ähnliches von Rauchern kenne, die schon viele Jahre nicht mehr rauchen, aber eine gewisse Lust bekommen, wenn es jemand neben ihnen tut (irgendwann hörte das aber auf).
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1. Februar 2013 um 17:37
Stefan
Tom und mete,
als ich Vegetarier wurde, empfand ich das nicht als Verzicht (obwohl ich früher gerne Fleisch aß).
Als ich dann Veganer wurde, vermisste ich allerdings die ersten Jahre den Käse, aber das ist nun auch längst Geschichte. Und außerdem kann ich ja genug Käse im Fernsehen genießen.
Von Askese würde ich beim Fleischverzicht allerdings heutzutage nicht sprechen. In den übersättigten Industrieländern lässt sich jeder Genuss durch tausend andere Genüsse ersetzen.
Was den Schweinebraten meines Tischnachbarn anbelangt: Ich habe damals bewusst aufgehört, das Nahrungsmittel von seiner Herkunft unbewusst zu trennen. D.h., wenn ich ein Stück Fleisch sehe, dann sehe ich immer darin das Tier, das es war, das mal lebte, das dafür getötet wurde. Heute ist es mir ein Rätsel, dass mein Kopf das früher trennen konnte. Denn Tiere liebte ich schon immer, und ohne diese Trennung hätte ich sie doch nicht essen können. Der Fortfall dieser Trennung resultierte, so denke ich, aus meinen spirituellen Erfahrungen, die mir für eine ganze Weile die Filter und Schutzschilde klauten, und nie ganz zurückgaben.
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1. Februar 2013 um 19:53
metepsilonema
Für mich war es auch kein Verzicht, es wird aber einer (bzw. die Abwehr einer Versuchung) in der Gegenwart eines zubereiteten Gerichts. Askese in dem Sinn, dass ich mir in diesen Momenten einen Genuss verweigere, den man, das sage ich für mich, auch nicht ersetzen kann, so wie man Wein nicht durch Bier ersetzen kann. Es stimmt, selbstverständlich, dass man sich anderem zuwenden, oder anderes entdecken kann und es gibt in der Tat eine Vielfalt vegetarischer Gerichte, die ausgezeichnet schmecken…
Ich kannte diese Trennung nie, ich habe bereits als Kind bei meinen Großeltern miterlebt wie Schweine geschlachtet, zerteilt und verarbeitet wurden, zu Speck, Schnitzelfleisch und Blutwurst. Ich kannte das Tier und sah wie es starb — gegessen habe ich das Fleisch trotzdem.
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1. Februar 2013 um 20:54
Stefan
Magst du uns die Gründe mitteilen, warum du Vegetarier wurdest?
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3. Februar 2013 um 19:14
metepsilonema
Es war die einfache Überlegung, dass dadurch Leid vermieden werden kann (es hat auch damit zu tun, es trotz der relativ beschränkten Wirkung zu praktizieren und der persönlichen Integrität wegen).
Etwas, das nicht nur im Bereich der Ernährung bedacht werden sollte.
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4. Februar 2013 um 20:10
Stefan
Nicht nur im Bereich der Ernährung – ich stimme dir voll zu!
Meinen Dank an dich,
und herzliche Grüße!
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4. Februar 2013 um 20:33
metepsilonema
Ebenfalls!
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31. Januar 2013 um 22:05
kurt
rentiere,zotige herden in der mongolai ,kameltreiber,pferde ,kühe ,schweine,
federvieh..-viele naturvölker auch die eskimos oder indianer behandelten ihre tiere gut und taten beten für ihre seelen
falls eins geschlachtet werden musste,nicht nur aus krankheit..–aber es wurde erwählt und hatte gewiss ein freies leben..
in der not ist der weg zum menschenfresser nah,weil er logisch ist andererseits ..schwierig
wer weiss das schon..
alles in maßen sollte auch möglich sein..
gandhi befügte, dem dürren kind wöchentlich ein Ei zur speise zu gereichen oder täglich…
es hatte ihr geholfen.
der mensch ist keine KUH.freenet.de
guten APPETITE!
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1. Februar 2013 um 17:44
Stefan
Naja, in Maßen töten (lassen) ist auch töten (lassen).
Der Unterschied zu früheren und heutigen (kaum noch vorhandenen) Naturvölkern, zu hungernden Menschen und/oder früheren Zeiten ist, dass wir heute in den reichen Ländern gänzlich ohne Not töten (lassen).
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1. Februar 2013 um 18:03
brammbus
dass ist aber ein ganz anderes thema ,hungersnot und co.
was alles so weggeschmisssen wird …oder das eine viehherde mehr frisst und düngt ..naja .ich ess nur einmal die woche ..ein lebendes ei…
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1. Februar 2013 um 19:37
Stefan
Weiß jetzt nicht, ob ich das hier darf. Aber ich find’s zu schön…
(Für Leute, die „Herr der Ringe“ kennen.)
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1. Februar 2013 um 20:11
metepsilonema
Herrlich!
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11. Februar 2013 um 18:47
Stefan
Zum Thema der o.g. Trennung heute gelesen: Eindrücke von der »Internationalen Grünen Woche«
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